F.A.Z. Podcast für Deutschland

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00:00:03: Hallo und herzlich willkommen zum FAZ Podcast für Deutschland.

00:00:06: Heute ist Dienstag, der sechzehnte September.

00:00:09: Mein Name ist Michael Götz und ich freue mich sehr, dass Sie dabei sind.

00:00:13: Gaza brennt, schreibt Israels Verteidigungsminister Israel Katz auf Telegram.

00:00:17: Kurz nachdem die israelische Armee heute früh ihre lange geplante Bodenoffensive in Gaza stattgestartet hat.

00:00:24: Während dort Panzer gesichtet werden, veröffentlicht die UN-Menschenrechtskommission einen Bericht, in dem sie Israel ganz direkt Völkermord vorwirft.

00:00:31: Vier von fünf Kriterien für einen Genozid sieht die Kommission als erfüllt an.

00:00:36: Was bedeutet diese nächste Eskalationsstufe für die Menschen in Gaza?

00:00:39: Für die noch lebenden Geiseln?

00:00:41: Und wie wirkt sich das alles auf Israels Innen- und Außenpolitische Lager aus?

00:00:46: Zuerst schalten wir nach Tel Aviv zu unserem Korrespondenten Christian Meier.

00:00:49: Mit ihm versuche ich, einen Überblick über die aktuelle Lage zu bekommen und zu verstehen, wie die Offensive in Israel selbst gesehen wird.

00:00:56: Danach spreche ich mit dem Nahost-Experten Robert Czatterci über die Strategie hinter der Offensive und darüber, wie eng das Fenster für eine diplomatische Lösung inzwischen geworden ist.

00:01:08: Ich bin jetzt verbunden mit Christian Meier, unserem Nahost-Korrespondenten mit Sitz in Tel Aviv.

00:01:13: Hallo Christian.

00:01:14: Hallo Michael.

00:01:15: Diese Bodenoffensive wurde ja länger vorbereitet, kann das für dich jetzt trotzdem zu dem Zeitpunkt überraschend?

00:01:22: Nicht unbedingt, ich hätte jetzt nicht spezifisch erwartet, dass es in der Nacht auf heute beginnt, aber die Erfahrungen des bisherigen Verlaufs des Gaza Kriegs haben gezeigt, dass israelische Offensiven häufig schrittweise beginnen, so ein bisschen schleichend.

00:01:39: und im Fall jetzt von Gazastadt gab es ja Anfang August die Entscheidung der Regierung, dass man die Einnahme von Gazastadt anstrebt und danach hat erst mal eine Reihe von Luftangriffen begonnen.

00:01:52: Das hat sich über... Wochen hinweggezogen, immer weiter intensiviert und der Fokus der Angriffe hat sich auch ein wenig verschoben.

00:02:01: Seit Anfang September wurden jetzt verstärkt Hochhäuser angegriffen und der Schwerpunkt der Luftangriffe ist auch ein bisschen von Osten nach Westen gewandert.

00:02:10: Während es anfangs noch mehr Angriffe oder fast alle Angriffe in den östlichen Stadtteilen von Gaza statt gab.

00:02:17: hat es sich jetzt ein bisschen in Richtung Meer nach Westen, wie gesagt, verschoben.

00:02:21: Und jetzt ist der logische nächste Schritt, dass die Armee tatsächlich schrittweise vorrückt und jetzt offenbar auch Bodendrucken einsetzt.

00:02:30: Und Israel hat ja auch im Vorfeld dazu aufgerufen, Gaser zu verlassen, ne?

00:02:33: So ist das.

00:02:34: Das ist ein wichtiger Bestandteil dieser Offensive, dass alle Bewohner Gaser statt verlassen sollen.

00:02:41: Die Idee dahinter ist also, dass die Zivilisten aus der Kampfzone weggehen oder fortgebracht werden, um sich dann eben nur noch ein Feinde, nämlich Hamas Kämpfer, dort befinden und einige der Geiseln, die es im Gasastreifen noch gibt.

00:02:59: Man geht davon aus, dass jedenfalls ein Teil der der Achtundvierzig lebenden und toten Entführten in Gaserstadt festgehalten wird.

00:03:08: Und das ist nicht zuletzt eines der Ziele.

00:03:11: die Benjamin Netanyahu ausgegeben hat, als die Offensive verkündet oder beschlossen wurde, dass man die Hamas schlagenendlich endgültig militäre Schlagen will und die Rückkehr der Geiseln erreichen will.

00:03:27: Ob das mit dieser Offensive erreicht werden kann, steht tatsächlich dahin.

00:03:31: Da gibt es innerhalb und außerhalb Israel viele Kritiker, die sagen, dass dem nicht so sein wird.

00:03:38: Ja und man kann natürlich verstehen, dass die Angehörigen der noch liebenden Geiseln eher in Sorge sind, dass... die Lage für die Geisen noch schlimmer wird.

00:03:45: oder sieht das eben im Zweifelsfall nicht überlebender?

00:03:47: Ganz genauer, ja.

00:03:49: Also einige Geiselfamilien haben schon gestern Abend, als die ersten Berichte über einen verstärkte Angriffe in Gaza statt kamen, sofort beschlossen, ein spontanes Protestcamp aufzuschlagen vor dem Sitz von Benjamin Gitanjau in Jerusalem in der ironischerweise Gaza-Straße.

00:04:08: Und einige Familien haben dann dort kampiert mit Zelten und Schlafsäcken.

00:04:13: Die Polizei hat die Straße abgesperrt, sodass ich keine größere Protestkundgebung dort entwickeln konnte.

00:04:20: Aber diese Geiselangehörigen sind natürlich in größter Sorge um das Schicksal ihrer entführten Angehörigen und viele von ihnen ziemlich verzweifelt und ziemlich wütend auf die Regierung, weil sie eben sagen, dass die Regierung mit dem Leben ihrer Angehörigen spielt.

00:04:37: Wenn wir jetzt schon auf die Lage in Gaza direkt, die Lage ist ja immer noch sehr unübersichtlich.

00:04:41: Wir sprechen jetzt am frühen Nachmittag.

00:04:44: Was wissen wir denn und was wissen wir noch nicht?

00:04:46: Ja, wir wissen, dass es seit gestern Abend, also seit Montagabend, deutlich ausgebeitete Angriffe gibt.

00:04:53: Nicht nur von Kampfflugzeugen, sondern auch durch Drohnen.

00:04:57: Es gibt Artilleriebeschuss, übrigens auch nicht nur in Gaza statt, sondern auch in anderen Teilen des Gasastreifens.

00:05:03: Der Krieg hat auch dort nicht aufgehört.

00:05:07: Und ich habe auch Berichte gelesen beispielsweise von mit Sprengstoff präparierten Fahrzeugen, die die Armee in bestimmte Gebäude oder Straßen schickt und dort titurnieren lässt.

00:05:19: Das dient laut Angaben der Armee alles der Vorbereitung.

00:05:23: der Bogenoffensive, also das Einsatz von Bodentruppen.

00:05:27: Man will bestimmte Hamasstellungen ausschalten.

00:05:31: Damit begründet die Armee auch die Angriffe auf Hochhäuser, die es ja eben verstärkt gab in den vergangenen Tagen.

00:05:39: Sicherlich haben viele unserer Leserinnen und Leser diese eindrücklichen Bilder gesehen von Hochhaustürmen, die in sich zusammenstürzen.

00:05:46: Und Yamey hat danach eben immer gesagt, dass diese Angriffe, die jeweils eine Warnung vorausging, dazu dienen Beobachtungsposten der Hamas auszuschalten.

00:05:55: und terroristische Infrastruktur, diese Vagoformulierung wird dann häufig verwendet, damit eben israelische Truppen danach freier operieren können in Gaza statt.

00:06:08: Der zweite Teil deiner Frage, was wir noch nicht wissen.

00:06:11: Wir wissen beispielsweise noch nicht, in welchem Umfang nun auch Bodentruppen wirklich vor Ort vorgerückt sind.

00:06:19: Heute Morgen gab es Berichte über Panzer in bestimmten Teilen von Kaserstadt.

00:06:24: Die Armee selbst äußert sich dazu bewusst und nachvollziehbarerweise denke ich, wage... die sagen, wir wollen der Hamas nicht einen Vorteil dadurch verschaffen, dass wir nun genau sagen, wo wir operieren.

00:06:37: Ein Armeevertreter, der heute ein Gespräch mit Journalisten hatte, bei dem ich auch dabei war, hat beispielsweise aber auch gesagt, dass schon seit Wochen immer wieder es einzelne Einsätze von Truppen in Gaserstadt gibt.

00:06:51: Das muss nicht heißen, dass es im Zentrum oder im Westen von Gaserstadt war oder ist, wo sich derzeit auch die meisten Bewohner und Flüchtlinge befinden.

00:07:02: Das kann auch an anderen Rändern, beispielsweise im Osten oder Norden gewesen sein.

00:07:07: Also, da gibt es viele Details des operationellen Aspekts dieser Offensive, die wir natürlich noch nicht kennen.

00:07:13: Und

00:07:14: kann man abschätzen, wie massiv dieser Einsatz jetzt ist?

00:07:17: Also, es wurde ja immer wieder operiert im Gazastreifen.

00:07:20: Aber wie massiv ist jetzt dieser Einsatz konkret im Gegensatz zu anderen?

00:07:24: Also, dieser Einsatz... unterscheidet sich auf jeden Fall und wird sich unterscheiden von anderen Einsätzen.

00:07:31: Natürlich gab es immer wieder massiven Einsatz von Truppen im Gasastreifen im Verlauf der fast zwei Jahre dieses Krieges.

00:07:39: Es gab auch immer wieder den Abbau von Truppen und in diesem Jahr hatte die Armee den Umfang der in Gaza eingesetzten Truppen deutlich reduziert.

00:07:48: Bis jetzt eben im August diese Offensive beschlossen wurde und daraufhin wurden wieder Zehntausende Reservisten einberufen oder darauf vorbereitet, dass sie nun einberufen werden.

00:08:01: Und der Armee-Sprecher heute hat von Zehntausenden von Soldaten gesprochen, die da nun im Einsatz sind und hat gesagt, es werden noch mehr werden.

00:08:10: Das sind überwiegend nicht Reservisten, die entlasten die Armee eher in anderen Fronten und es werden eher Berufssoldaten und Wehrdienstleistende eingesetzt.

00:08:22: Auf jeden Fall wird er nun aber relativ konzentriert, doch eine beträchtliche Zahl von Soldaten zusammengezogen werden.

00:08:31: Ich hatte eben gesagt, dass der Einsatz sich auf jeden Fall aber unterscheiden wird.

00:08:35: Das liegt daran, dass die Armee im Zentrum von Gaza statt tatsächlich seit Kriegsbeginn noch nie größere Operationen... durchgeführt hat.

00:08:45: Die Armee selbst sagt auch, dass sie davon ausgeht, dass das eine Hochburg der Hamas ist, die bislang eben noch nicht oder weniger stark attackiert worden ist als andere Teile des Gasastreifens.

00:08:58: Und zum anderen befinden sich eben immer noch hunderttausende Menschen dort.

00:09:02: Die Schätzungen besagen, dass im August, also als diese Offensive beschlossen wurde, sich rund eine Million Menschen dort aufgehalten haben.

00:09:11: Die Armee hat heute gesagt, dass etwa dreihundertfünfzigtausend von Ihnen in den vergangenen Wochen jetzt geflogen seien.

00:09:19: Wir hatten davon gesprochen, dass die Armee eine sogenannte Evakuierungsanordnung ausgegeben hat.

00:09:26: Das war vor einer Woche und gesagt hat alle Bewohner, also diese ganze hunderttausende, diese Millionen Menschen müssten Gaserstatt verlassen und so ein Drittel, vielleicht inzwischen schon mehr, sind diese Aufforderungen inzwischen nachgekommen.

00:09:41: Aber das heißt eben auch, dass sehr viele Menschen sich immer noch in Gaserstatt befinden, teilweise auch von einem Teil von Gaserstatt in den anderen Teil geflohen sind oder jetzt gerade fliehen, dort zuflug suchen und das macht natürlich die ganze Lage schwieriger Aussicht.

00:09:58: der Armee für den Einsatz dort und deshalb gehe ich davon aus, dass die Armee auf verschiedenen Wegen versuchen wird, zu erreichen, dass möglichst viele der verbindenden Bewohner in den nächsten Tagen ebenfalls fliehen werden.

00:10:13: Und abgesehen von den direkten Gefahren natürlich für die Zivilbevölkerung spitzt sich die katastrophale humanitäre Lage auch vielleicht weiter zu dort, kann man da schon absehen, ob das da drauf Auswirkungen haben wird.

00:10:25: Das wird ganz sicherlich so sein.

00:10:27: Die Armee legt in ihren Äußerungen und Stellungen sehr viel Wert darauf, dass sie sehr viel tue, um die humanitäre Krise im Gasersteifen abzufedern.

00:10:39: Hilfsorganisationen sehen das oft ganz anders und verweisen beispielsweise auch darauf, dass es vielen Menschen, die sich im Gaserstatt befinden.

00:10:47: gar nicht möglich ist, von dort zu fliehen.

00:10:49: Was ist mit Alten, mit Verwundeten und Kranken, mit möglicherweise Müttern, mit Kindern, mit kleinen Kindern, deren Männer vielleicht getötet worden sind im Kriegsverlauf?

00:11:01: Also, da gibt es viele Personen, die jetzt nicht einfach ohne Weiteres sich auf diesen beschwerlichen Marsch nach Süden machen können, zumal die Verhältnisse dort auch nicht besser sind.

00:11:10: Die sogenannte humanitäre Zone, Amawasi, im Süden des Gazaschreifens, ist eines der Gebiete, in das die Menschen sich begeben sollen.

00:11:18: Aber viele, die dort hingegangen sind, haben dort festgestellt und berichtet, dass es gar keinen Platz gibt für weitere Flüchtlinge.

00:11:25: Dort ist schon ein großer Teil der Bevölkerung des Gasastreifens zusammengepfercht, muss man sagen.

00:11:31: Und in den vergangenen Tagen und Wochen sind einige der Bewohner von Gaserstatt, die sich in den Süden begeben hatten, sogar von dort zurückgekehrt.

00:11:41: Weil sie sagen, da ist die Lage noch schlimmer, da bleiben wir lieber in Gaserstatt.

00:11:45: Da haben wir vielleicht wenigstens noch so etwas wie eine halbwegs bestehende Wohnung.

00:11:50: Und ich denke mal, diese Offensive wird diese ganze Lage noch deutlich verschärfen.

00:11:56: Ja, insgesamt stand jetzt schwierig drauf zu schauen, wie es weitergehen könnte.

00:12:02: Kannst du was vermuten, wie Israel in den nächsten Tagen vorgehen wird, wird die Offensive eher noch verstärkt werden?

00:12:09: Davon gehe ich aus, ja.

00:12:11: Das hat die Armee angekündigt und ich sehe momentan keinen Grund, warum sie in der Mitte eine Offensive... diese abmindern oder abbrechen sollte.

00:12:23: Es sei denn, es gibt maßgebliche Fortschritte in den Verhandlungen, aber die Erfahrungen der vergangenen Wochen haben eigentlich auch gezeigt, dass diese Verhandlungen sich immer im Kreis drehen bzw.

00:12:35: immer wieder an den Grundsatzpositionen beider Parteien scheitern oder an diesen Punkt nicht vorankommen, die Hamas.

00:12:42: fordert ein Ende des Krieges und eine Zusicherung, dass eine Waffenruhe auch dauerhaft sein wird.

00:12:48: Und Israel fordert eine vollständige Niederlage der Hamas und will sich nicht darauf einlassen, ein Ende des Krieges zuzusichern.

00:12:58: Und Netanyahu hat nun immer wieder klargemacht, dass er gewillt ist, weitere Verhandlungen nur unter Feuer zu führen, also während der Krieg weiter läuft.

00:13:09: Und er hat mehrmals gesagt, dass die Offensive zur Einnahme von Gaza statt eben auch dazu dient, die Hamas weiter unter Druck zu setzen und schließlich zu brechen.

00:13:20: Es gibt eine... Weitere Sichtweise auf diese Politik, nämlich von Kritikern Netanyahu innerhalb Ishaels, die sagen, dass fortgesetzter Krieg ihm auch dazu dient, die Verantwortung nicht übernehmen zu müssen für den Terroranschlag vom siebten Oktober, der auch von einem großen Versagen aller israelischen Sicherheitsverkehrungen und der bisherigen Gaza-Politik geprägt war.

00:13:45: und dass seine Regierungskollektion am ersten zusammenhält, wenn der Krieg im Gaza-Steifen nicht beendet wird.

00:13:53: Wir stehen ja auch kurz vor dem zweiten Jahrestag genau dieses Anschlags, dieses Angriffs der Hamas auf Israel.

00:14:00: Will Netanyahu auch vielleicht einfach bis dahin ein konkretes Ziel erreicht haben?

00:14:04: Den Eindruck habe ich eigentlich nicht.

00:14:06: Ich glaube, der zweite Jahrestag wird sicherlich von vielen mit Trauer begangen werden.

00:14:12: Aber Forderung oder Ankündigung, dass man bis zu diesem Zeitpunkt den Gaza-Krieg unbedingt beendet haben müsse, habe ich bislang in Israel nicht gesehen.

00:14:21: Tatsächlich geht es eher ins Gegenteil, dass viele Leute inzwischen schätzen, dass dieser Krieg noch eine ganze Weile weitergehen kann.

00:14:30: Vielen Dank für deine Einschätzung, Christian.

00:14:31: Sehr gerne.

00:14:43: Nachdem wir uns nun eingehend mit der Lage in Israel beschäftigt haben, stellen wir um auf Weitwinkel und widmen uns den übergeordneten Zusammenhängen.

00:14:50: Darüber spreche ich heute mit Robert Chatterjee, dem stellvertretenden Chefredakteur des Nahostfachmagazins Zenit.

00:14:56: Herzlich willkommen hier im Podcast.

00:14:58: Guten Tag.

00:14:59: Natürlich betrachten wir die aktuellen Ereignisse immer auch ausgehend vom siebten Oktober zwanzig dreiundzwanzig.

00:15:05: Wir haben auch hier im Podcast immer wieder über das Recht der Selbstverteidigung Israels gesprochen.

00:15:09: Ist das, was wir jetzt sehen, noch Selbstverteidigung?

00:15:12: aus meiner Sicht schon lange nicht mehr.

00:15:14: und das ist auch nicht nur meine persönliche Meinung, sondern auch die Sicht von einer Vielzahl von Experten, von Untersuchungen, von Juristen, von Ärzten, von Menschenrechtsorganisationen, auch immer häufiger von Teilen der Zivilgesellschaft und auch der Politik.

00:15:33: Wir haben jetzt heute gesehen, aktuell die unabhängige Untersuchungskommission des UN-Menschenrechtsrats hat einen Bericht veröffentlicht, wirft Israel im Gasastreifen ein Genozid vor.

00:15:43: Wird das in Israel überhaupt gehört finden?

00:15:46: Ich denke, das wird schon wahrgenommen.

00:15:48: Die Frage ist vielmehr, ob solche Berichte tatsächlich eine... Änderung im Verhalten dieser Regierung auslösen kann.

00:15:58: Und da ist die Antwort, denke ich, ganz klar, nein.

00:16:01: Und auch die Autoren dieses Berichts haben ja auch ganz klar gemacht, dass das jetzt in dem Sinne auch gar nicht die Aufgabe ist, sondern sie sammeln Informationen und dokumentieren diesen aus meiner Sicht auch anhaltenden Genozid und geben die Verantwortung ja auch weiter an diejenigen, die sie auch Innerhaben und die auch tatsächliche Hebel und Macht haben, um dort eine Verhaltensänderung zu erzwingen.

00:16:27: Was müsste denn dann passieren, damit da eine Veränderung herbeigeführt wird?

00:16:32: Ich bin ja ein Experte, insofern halte ich mich da zurück jetzt.

00:16:37: Sanktionen zu fordern.

00:16:39: Aber ich kann natürlich darauf hinweisen, dass Sanktionen natürlich auch zum Instrumentarium der Politik gehören.

00:16:46: Teilweise auch in Kraft sind, etwa auch in einigen Ländern der Europäischen Union.

00:16:52: Wir haben ja auch in der letzten Woche auf EU-Ebene ganz ähnliche Beschlüsse gesehen.

00:16:56: Die gehen nicht ganz so weit, aber die setzen zumindest schon auf dieser Sanktionsebene an.

00:17:02: Und dementsprechend ist da eine Menge auf dem Tisch.

00:17:05: Was man zur Anwendung bringen könnte, was ganz klar fehlt, ist der politische Wille.

00:17:11: Wenn wir uns jetzt nochmal die Ereignisse heute anschauen, zunächst gab es ja Meldungen, dass Netanyahu Donald Trump erst mal über den Angriff informiert habe.

00:17:18: Das hat der jetzt dann dementiert.

00:17:20: Halten Sie es für vorstellbar, dass Netanyahu auch ohne Abstimmung mit den USA handelt?

00:17:25: Ja, absolut, denn das hat er ja vorher auch schon oft genug getan.

00:17:29: Es erinnert mich ein bisschen an das Vorgehen auch in diesem sogenannten Zwölftagekrieg.

00:17:34: Ich finde, da war das Vorgehen gar nicht so unähnlich.

00:17:37: Es fällt natürlich ein bisschen leichter auf dieses Vorgehen gegen einen vermeintlichen Schockenstaat wie Iran zu rechtfertigen.

00:17:45: Aber das musste als ziemlich ähnlich, wenn wir uns daran zurückerinnern.

00:17:48: Damals war ja Donald Trump auch im Nahen Osten unterwegs, hat er eigentlich dann auch verkündet, dass er kurz davor sei, auch eine Neuauflage des Atomakons mit Iran auszuhandeln.

00:18:01: Und in dem Moment sind die Israelis ihm quasi zuvor gekommen, haben auf eigene Faust gehandelt.

00:18:08: Auch während dieser zwölf Tage war das ja immer so ein Hin und Her.

00:18:11: Da hat Trump versucht, vor den Ereignissen zu bleiben und immer den Eindruck auch zu erwecken, dass die USA hier in der Führung sind und sich eben nicht hertreiben lassen.

00:18:21: Aber genau das macht natürlich auch Benjamin Netanyahu.

00:18:25: Tatsächlich ist das überhaupt nicht erkenntlich, welchen Kurs Trump jetzt überhaupt fahren möchte.

00:18:31: Ich denke auch, dass die Israelis auch so ein cleveres Gespür haben.

00:18:36: wann die Amerikaner eben auch mit anderen Sachen beschäftigt sind und eben kein Auge für Außenpolitik haben.

00:18:42: Wenn man sich mal anschaut, wie die Konstellation gerade ist in den USA, ist gerade das große Thema, dieser Anschlag auf Charlie Kirk, dazu noch die Epstein-Files und diese ganzen Veröffentlichungen.

00:18:56: Da ist für Außenpolitik gerade kaum Platz.

00:18:59: Auch in Europa hat man gerade eigentlich nicht so viel zu befürchten.

00:19:03: Aus Deutschland sowieso nicht.

00:19:04: Deutschland geht da nie proaktiv voran.

00:19:07: Die Franzosen sind auch gerade mit CSS beschäftigt, nachdem ihre Regierung wieder einmal zerfallen ist.

00:19:13: Und ich denke, dass das auch eine Rolle dabei spielt, wann man welchen Schritt in diesem anhaltenden Krieg geht.

00:19:21: Also wie weit man wann geht, ohne befürchtet zu müssen, dass da großartig Gegenwind kommt.

00:19:27: Wenn wir auf die letzte Woche schauen, da soll sich Netanyahu wiederum mit Trump über die israelische Attacke auf Hamas Führer in Doha abgestimmt haben.

00:19:34: Was wissen wir eigentlich bis heute jetzt über den Erfolg aus israelischer Sicht dieser Mission?

00:19:39: Wenn man jetzt mal ganz nüchtern nach Missionszielen fragt, war ja das Ziel offenbar, die Hamas Auslandsführung, die dort eben in diesem Büro etwa die Geiselverhandlungen für die Hamas geführt hat, auszuschalten.

00:19:56: Nach bisherigen Erkenntnisstand ist das nicht gelungen.

00:20:00: Unter den Toten sind zwar Angehörige, dieser Unterhändler, unter anderem wohl auch ein Sohn des Auslandsbürochefs Haliraya, aber eben auch zum Beispiel katharische Staatsbürger.

00:20:13: Das macht die ganze Sache für Qatar natürlich noch brisanter.

00:20:17: Was jetzt wohl auch durchgesickert ist, das eigentlich eine Bodenmission von Mossad-Agenten dort.

00:20:24: geplant war und das innerhalb des israelischen Auslandsgeheimdienst der Widerstand aber so groß war, das nicht zu machen, nicht nur wegen der Gefährdung des eigenen Personals, sondern weil das empfunden wurde als ein Schritt zu weit, wo man diese Beziehung auch zu den Katarisern vollends aufgeben würde und damit auch jegliche Hoffnungen auf irgendwelche Gespräche in Zukunft, etwa in der Geiselfrage, das sieht der eh schon sehr düster geradeaus, ob es da überhaupt etwas wieder geben wird.

00:20:56: Aber es hätte vielleicht auch sogar noch viel schlimmer kommen können, wenn man diesen Berichten Glauben schenkt, dass da eigentlich noch eine viel größere und vier dreistere Aktion geplant war.

00:21:06: Gestern haben wir dann knapp sechzig arabische Staaten in Doha über diesen Militärschlag auf den katarischen Boden eben departiert.

00:21:13: Sie haben den Angriff verurteilt, aber am Ende blieb es bei Worten keine konkreten Maßnahmen oder Sanktionen.

00:21:18: Jetzt diese Bodenoffensive.

00:21:20: Sehen Sie da Zusammenhänge?

00:21:22: Natürlich gibt es da Zusammenhänge und zwar immer wieder und aufeinander aufbauen, denn das Muster ist ja Folgendes.

00:21:30: Die Israelis überschreiten eine rote Linie und schauen, wie die Reaktion ist und ob die Reaktion derart ausfällt, dass das wirklich wehtut bzw.

00:21:40: dass man gezwungen ist, anderen Kurs etwas zu ändern.

00:21:44: Und das sehe ich nicht ganz im Gegenteil.

00:21:46: Ich glaube, die israelische Regierung sieht sich seit zwei Jahre eigentlich auf dem richtigen Weg und auf Erfolgskurs und hat dabei immer weiter die roten Linien nach außen verschoben, sodass man jetzt so eine Doktrin erkennen kann nach diesem Schlag gegen Qatar, dass man sich vorbehält, immer und überall nach Gutdünken zuzuschlagen, wo man das für genehm hält und dass jedes Land, dass diese Kriterien, die ja gar nicht so fest definiert sind, aber eben sehr breit sind, Potenziell in Gefahr ist.

00:22:19: dazu zehn ja auch zum Beispiel Länder wie die Türkei, wo ja auch Framers Vertreter regelmäßig auch zu Verhandlungen etwa gastieren, aber eben auch jedes andere Land am Golf, auch selbst die.

00:22:33: die Teil der Abram-Abkommen sind, also die eigentlich sich geschützt wähnen vor solchen Angriffen.

00:22:40: Und das wird jetzt tatsächlich sehr spannend zu sein in diesem Bindverhältnis der Golfstaaten.

00:22:45: Qatar hat ja keine offiziellen Beziehung mit Israel, die Vereinigten Arabischen Emiraten.

00:22:50: Dagegen schon.

00:22:52: Die Saudi stehen da irgendwo ein bisschen dazwischen und warten ein wenig ab.

00:22:57: Und man kann aber jetzt schon sagen, Dass das so lange dauert, bis da was konkretes rauskommt, ist schon kein gutes Zeichen für die Golfstaaten.

00:23:06: Wie eng ist diese Solidarität wirklich?

00:23:10: Und bis jetzt ist das eher besorgniserregend.

00:23:14: Und das seltsame ist ja, dass die Golfstaaten ja so mächtig und einflussreich in der Welt erscheinen.

00:23:21: wir eigentlich nie zuvor.

00:23:23: Aber wenn man mal vergleicht vor vierzig, fünfzig Jahren, haben die Goldstaaten über die OPEC und über die Ölwaffe einen viel größeren, direkteren Einfluss genommen, als heute mit diesem vermeintlich viel größeren Potenzial auch viel mehr Geld, was man überall strategisch investiert hat, um sich da quasi auch wichtig zu machen, dass man nicht an den Goldstaaten vorbeikommt.

00:23:50: Und die Frage ist jetzt, kann man dieses Kapital aufbringen?

00:23:54: um auch politischen Druck auszuüben.

00:23:57: Denn tatsächlich haben die Goldstaaten gar nicht so viele Politikinstrumente zur Verfügung, die man jetzt zur Anwendung bringen kann.

00:24:07: Das heißt, sie würden jetzt auch nicht sehen.

00:24:08: Wir haben ja jetzt gehört, US-Außenminister Rubio hat Qatar gebeten, trotz dieses israelischen Angriffs auf Hamas funktionäre Weitervermittler in diesem Konflikt zu sein.

00:24:18: Wir werden Qatar bitten, weiterzumachen.

00:24:20: Wir wissen das sehr zu schätzen.

00:24:22: Sie spielen eine konstruktive Rolle dabei, das Ganze zu beenden.

00:24:25: Natürlich müssen sie selbst entscheiden, ob sie das nach der letzten Woche noch tun wollen.

00:24:29: Wirklich die Frage, wenn ich sie richtig verstehe, dann denken sie auch, es gibt gar nicht genug Druck, den Qatar aufbauen kann, dass es irgendwie eine Chance auf Verhandlungen

00:24:37: gibt.

00:24:38: Ich glaube, im Moment geht es für Qatar gar nicht darum, den Druck für eine Wiederaufnahme der Verhandlungen herzustellen, sondern das Gesicht zu wahren und zu zeigen, wenn man uns direkt angreift und unsere Staatsbürger tötet, dann werden wir uns dafür revanchieren.

00:24:54: Darum geht es.

00:24:55: Natürlich mit der Aussage hat Rubio die Katarys natürlich auch so in so ein Dilemma gebracht, denn einerseits wollen sie natürlich eben zeigen, dass man die eigene Souveränität so nicht verletzen kann, dass das Folgen hat und andererseits möchte man aber auch natürlich signalisieren, wir sind weiterhin... der führende Gastgeber für internationale Verhandlungen, weil das natürlich ein ganz wichtiger Teil des katharischen Geschäftsmodells ist.

00:25:24: Ich glaube, wenn es nach den Katharisgänge würde man da sicherlich auch wieder an den Verhandlungen zurückkommen.

00:25:30: Allerdings muss da diese Gesichtswahrung als Erstes kommen.

00:25:34: Und die muss einhergehen mit Sicherheitsgarantien.

00:25:36: Und das ist ja genau das, was Außenminister Rubio auch gar nicht thematisiert hat.

00:25:41: Solche Verhandlungen können ja nur stattfinden.

00:25:45: wenn sichergestellt ist, dass sie nicht angegriffen werden.

00:25:48: Und eben diese Garantie haben die Amerikaner ja nicht ausgesprochen und haben aus Sicht der Golfstaaten Katta ja im Stich gelassen.

00:25:56: Schauen wir zum Schluss nochmal nach Israel.

00:25:58: Selbst die israelische Armeeführung soll sich ja gegen die Offensive ausgesprochen haben.

00:26:03: Warum?

00:26:03: Macht Israel denn überhaupt jetzt diese Anstrengung in Gaza und geht damit Bodendrücken rein?

00:26:10: Naja, diese Operation werden natürlich auch vorher vorbereitet.

00:26:13: Die kommen ja nicht aus dem Nichts.

00:26:14: Sie sind schon lange geplant und letztendlich ist es ein weiterer Schritt hin zur kompletten Entfölgerung des Gazastreifens, was man jetzt in Gaza stattmacht.

00:26:25: ist eine systematische Zerstörung der städtischen Infrastruktur.

00:26:30: Das Gleiche hat man vor ein paar Monaten schon mit der Stadt Raffach gemacht.

00:26:34: Auch eine der größeren Städte im Gasastreifen und jetzt macht man es mit der größten Stadt im Gasastreifen.

00:26:40: Und wenn man das so zusammensieht, auch wie sehr auch die israelische Armee auch schon seit Anfang dieses Jahres im Prinzip die Verstätigung der mediterischen Präsenz dort vorbereitet hat.

00:26:53: Es gibt eine Menge Sperrzonen dort, wer dort diese Sperrzonen übertritt, auf dem wird auch sofort scharf geschossen.

00:27:01: Das heißt, ein großer Teil des Gaserschreibs ist schon Sperrgebiet auch für die Bewohner.

00:27:05: Und auch die Regierungsmitglieder, Benguir und Smottsch machen ja gar kein Heer daraus, was man dort vorhat.

00:27:12: Nämlich, man möchte alle Bewohner loswerden.

00:27:15: Das heißt, das ist das, was dort gerade passiert.

00:27:18: Der Gasastreifen soll komplett von Palästinensern entvölkert werden und die Bewohner werden vor die Wahl gestellt.

00:27:25: Entweder müsst ihr so lange leiden und auch immer noch auf der Suche nach... Nahrung und anderen Hilfsmitteln damit rechnen, dabei auch noch getötet zu werden.

00:27:36: Wie durfte ich vergessen, dieses Hilfsystem, was die Israelis jetzt dort seit mehrere Monaten eingesetzt haben, da sind ja auch schon Tausende getötet worden, die einfach nur nach Essen anstehen wollten.

00:27:50: Letztendlich sind das alles Maßnahmen, die idealerweise, die Leute dazu bewegen sollen, freiwillig zu gehen.

00:27:58: Und wenn das nicht ausreicht, schreckt diese Regierung auch nicht davor zurück, immer mehr Menschen auch zu töten.

00:28:06: Denn wir sind ja bis jetzt auch keine Gegenmaßnahmen in den Weg gestellt worden.

00:28:10: Also das, um das nochmal ganz klipp und klar zu sagen, das, was man den Israelis unter anderem etwa auch in den Haag seit fast zwei Jahren vorwirft, passiert tagtäglich vor unseren Augen.

00:28:23: Und genauso muss man das auch sehen.

00:28:26: Und die Konsequenz daraus heißt, wenn dort wieder nichts geschieht, dann wird das auch genauso

00:28:56: weitergehen.

Über diesen Podcast

Der Nachrichten-Podcast der F.A.Z. mit exklusiven Interviews zu aktuellen Themen aus Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Wissenschaft. Der Podcast für Deutschland bietet Montag bis Freitag um 17 Uhr hintergründige und kontroverse Diskussionen mit F.A.Z.-Redakteuren.

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von und mit Frankfurter Allgemeine Zeitung

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